Deutschland hat viele Schlösser und Burgen, warum also nach Thüringen fahren?
Von diesen Orten hatte ich noch nie gehört.
Es gab da dieses unberührte Stück im Herzen von Deutschland, wo ich noch keine digitalen Fähnchen gesetzt hatte. Eigentlich kann man die Städtenamen auf meiner Google Maps Karte gar nicht mehr lesen, weil so viele Orte abgespeichert sind. Aber Mitten auf der Karte der Bundesrepublik war bisher noch alles frei.
Ich bin für meinen Instagram-Kanal @baroqueblockbuster in ganz Europa unterwegs, um historische Orte für Kulturreisende zu entdecken. Es gibt noch einiges, was ich noch nicht gesehen habe, z. B. barocke Sehenswürdigkeiten in Skandinavien und im Baltikum, aber eine terra incognita mitten in der Bundesrepublik, bloß ein paar Autostunden von meinem Wohnort München entfernt, das war für mich schon erstaunlich. Meine Neugierde war aktiviert, diese Region so kurz vor meiner Haustüre näher unter die Lupe zu nehmen: Überall in Europa gibt es barocke Orte zu entdecken, hier muss sich doch auch etwas Spannendes für Kulturreisende verstecken.
Thüringen ist nicht nur eine Schatzkammer, sondern auch Wiege für Königinnen und Könige
Ich war wirklich überrascht über die Menge an Schlössern, als ich bei meiner Google Recherche auf die Website der Schatzkammer Thüringen gestoßen bin. Was mir auch neu war: Thüringen hat die höchste Dichte an Burgen und Schlössern in ganz Deutschland. Wie kam es überhaupt dazu? Die Adelsfamilie der Wettiner hatte sich über Jahrhunderte in Kleinstfamilien aufgesplittet. Dadurch wurden eigenständige Territorien und Residenzen notwendig. Bismarck verspottete das mächtigste der Thüringer Adelshäuser „Sachsen-Coburg und Gotha“ als „Gestüt Europas“, weil es durch seine kluge (Heirats-)politik im 19. Jahrhundert Könige und Königinnen von Portugal, Belgien, Bulgarien und Großbritannien stellte. Jetzt hatte ich die geschichtlichen Zusammenhänge verstanden und konnte mich zu meiner Exkursion aufmachen, um Thüringen selbst zu entdecken.
Unterwegs in Thüringen mit dem Ziel: Alle Schlösser auf einmal
Ich habe das Gefühl, zu Hause zu sein und doch etwas Unbekanntes zu entdecken. Reiseziele innerhalb von Deutschland fühlen sich für mich immer ganz besonders an. Mein „Zelt“ schlage ich in Weimar auf, aus ganz pragmatischen Gründen. Es liegt verkehrstechnisch ziemlich günstig und von dort aus lassen sich alle Schlösser in Thüringen mit dem Auto gut erreichen.
Mein erstes Schloss auf dem Weg aus Bayern ist die Veste Heldburg mit dem Deutschen Burgenmuseum. Mein Auto parke ich unten am Waldrand und laufe dann einen alten Hohlweg hinauf zur Burganlage. Die Luft ist wunderbar klar und es riecht nach Waldboden. Der Referent für Kommunikation begrüßt mich und führt durch die Anlage. Ich bin beeindruckt von der Lage, den Ausblicken in die weite Landschaft und der wechselvollen Geschichte, zuletzt als Beobachtungsposten während der innerdeutschen Grenze bis 1990. Immer wieder erzählt mein Guide Anekdoten aus seiner eigenen Familie, die mit dem Ort und der Burg verbunden sind. Im Burggarten ist Obst und Gemüse gepflanzt, das früher zur Versorgung einer Burg genutzt wurde und jetzt für Kinder als grüne Ausstellung gedacht ist. Ganz stolz ist mein Tourguide über die Bienen, die er selbst betreut. Voller Eindrücke, persönlichen Geschichten und geschenkten Tomaten mache ich mich auf zu meinem nächsten Schloss in Thüringen.
Märchenschloss an der Saale
Darauf habe ich mich schon lange gefreut: An einer Felskante, über Weinbergen und Gärten ragt eines der drei Dornburger Schlösser. Besonders märchenhaft überblickt das barocke Lustschloss das Tal mit der verschlungenen Saale. Ehrlich gesagt, hatte ich viele Fotos auf Social Media gesehen, aber das Licht, die Gärten und das Schloss so im Morgenlicht zu sehen ist etwas ganz eigenes. Eine rote Katze marschiert selbstbewusst durch meine Videos und lässt sich auch bei den weiteren Fotos und Videos nicht davon abhalten. Direkt hinter den Schlössern liegt eine Keramikwerkstatt, die im Bauhaus Anfang des 20. Jahrhunderts eine große Rolle gespielt hatte. Thüringen ist voller Kunstgeschichte und Geschichten.
Weltklassemuseum, aber als Geheimtipp
Von Weitem sieht man die monumentale Anlage von „Friedenstein“ in Gotha. Die Anlage ist einer der ersten barocken Anlagen in Deutschland und strahlt die ganze Wucht und die Vision des Bauherren aus, der in kriegerischen Zeiten eine Schlossanlage als Ermahnung an Frieden und Zusammenhalt baute. Ich gehe in einen der Ecktürme und stehe mitten in einem barocken Theatersaal. Der Bühnenmeister nimmt mich mit unter den Theaterboden, wo er mir die originale Bühnentechnik aus dem 17. Jahrhundert zeigt. Es sieht hier eher aus, wie auf einem Schiff. Und meine Vermutung ist nicht ganz falsch, denn die barocke Bühnentechnik kommt ursprünglich von venezianischen Schiffsspezialisten, wie mir der Bühnenmeister erzählt. Wenn hier während des Ekhof-Festvials Theatergespielt wird, werden alle Spezialeffekte noch von Hand gemacht, zB. das Wind- und Donnergeräusch. Mir kommt der Gedanke „Netflix, aber vor 300 Jahren mit viel Handarbeit“. Wieder draußen auf dem Schlosshof laufe ich auf die prächtige Fassade des Herzoglichen Museums zu. Dieses Museum mit seiner einmaligen Kunstsammlung auf Weltniveau ist eine Sensation. Top-Stücke zeigen die ganze Bandbreite der Kunstgeschichte. Ich bin ziemlich baff, denn das hätte ich hier nicht erwartet.
Die Menschen machen den Unterschied
Nach meiner Reise zu 21 Schlössern und Burgen in Thüringen, ist meine Google Maps Karte mit digitalen Fähnchen in Thüringen gut gefüllt. Für mich ist diese Region eine echte Entdeckung. Abseits von internationalem Massentourismus gibt es hier authentische Orte zu entdecken, die man in Ruhe und ohne Stress genießen kann. Eine Art Micro Adventure innerhalb von Deutschland. Ich muss sagen: Thüringen ist eine Schatzkammer.
Was mich auf der Reise immer wieder beeindruckt sind die Menschen, die sich um die historischen Orte kümmern. Sie kennen die Anwohner noch von Früher, die z. B. mit Einsatz von viel Vodka die historische Waffenkammer von Schwarzburg vor dem Abtransport nach Russland bewahrt haben. Sie haben selbst mit Hand angelegt, Dächer zu reparieren, Brände zu löschen oder Konzerte für den Erhalt der Anlagen zu organisieren. Das hat mich wirklich beeindruckt.
Ich wünsche mir, dass das Kulturerbe in Thüringen noch mehr Aufmerksamkeit erhält, die es verdient hat und es ist klar, dass es für mich nicht das letzte Mal ist, dass ich nach Thüringen fahre.
Bildquelle: ® Constantin Pelka